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Als auf der Welt ein Schatten lag

Vor 100 Jahren bricht der Erste Weltkrieg aus: eine historische Zäsur, die die österreichische Wohnkultur wie kaum eine zweite geprägt hat. Sarajevo, 28. Juni 1914: Es muss dem jungen Mann wie ein Wunder erschienen sein: Eigentlich hatte er – gemeinsam mit fünf Mitverschwörern – geplant, heute den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand zu ermorden. Doch sie hatten versagt: Einige haben gar nicht erst den Versuch unternommen und die Bombe, die schließlich geworfen wurde, prallte ab und verletzte den Habsburger nicht. Und so sitzt der 19-jährige Gavrilo Princip nun an einem Straßentisch vor einem Delikatessengeschäft und überlegt, seinem Leben ein Ende zu machen, als eine Fahrzeugkolonne vor ihm Halt macht. Wenige Meter von Princip entfernt sitzen – mit offenem Verdeck – Franz Ferdinand und seine Frau Sophie. Man hat eine falsche Route genommen und möchte nun wenden. Princip, der seine Chance sieht, stürzt auf das Fahrzeug zu und schießt zweimal auf den Thronfolger. Eine der Kugeln trifft Sophie in den Unterleib, die andere Franz Ferdinand in den Hals, beide sterben noch an Ort und Stelle. Nach diesem Attentat geht der Domino-Effekt durch Europa: Österreich-Ungarns Vorgehen gegen Serbien ruft Serbiens Schutzmacht Russland auf den Plan. Dadurch tritt aber Deutschlands Verpflichtung in Kraft, der k.u.k. Monarchie zur Seite zu stehen, was wiederum Frankreich zum Handeln zwingt. Es folgen Großbritannien und Italien. Innerhalb weniger Monate liegt Europa und schließlich die Welt im Krieg. Der Erste Weltkrieg gilt nicht nur als der erste vollindustrialisierte Krieg, er markiert auch das Ende der Monarchie in Österreich und setzt damit gesellschaftliche Entwicklungen in Gang, die die österreichische Wohnkultur bis heute prägen. ##„Bettgeher“ und die „Wiener Krankheit“ Doch um diese Entwicklung zu verstehen, muss man bereits vor 1914 ansetzen: Es ist das Zeitalter der Industrialisierung. Massenproduktion und Fabriken locken billige Arbeitskräfte in die Städte – im Falle Österreichs nach Wien. Von 1840 bis 1918 explodiert die Einwohnerzahl der Stadt Wien von rund 440.000 auf mehr als zwei Millionen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehen private Zinskasernen. Die Wohnsituation der Arbeiterschicht ist von unzumutbaren Wohnverhältnissen geprägt: Der größte Teil der Bevölkerung lebt auf engstem Raum und in ärmlichsten Verhältnissen in sogenannten Bassenawohnungen. Diese Wohnform bezeichnet im Wesentlichen Zimmer-Küche-Wohnungen, wobei die Küche nur vom Gang aus belichtet und belüftet wird. Pro Etage gibt es am Gang mit der Bassena nur eine Wasserentnahmestelle und gemeinsame Toilette. Durst-Bau-Geschäftsführer Hannes Horvath, der sich in seiner Diplomarbeit und seinem Studium unter anderem mit der Geschichte des Wohnens auseinandergesetzt hat, erzählt: „Mit der Gründerzeit setzt auch eine Industrialisierung des Wohnens ein: Wien explodiert, es entsteht eine Wohnungsnot, die mit einer Massenproduktion an Wohnraum abgefangen werden soll. Ein großer Teil der Gesellschaft lebte in elenden Arbeiterquartieren.“ Es ist das Zeitalter der „Bettgeher“, vorwiegend Industriearbeiter, die am Land leben und in der Stadt lediglich ein Bett anmieten – für die Mieter eine Möglichkeit, die Wohnkosten aufzubringen. Um 1910 gibt es in Wien laut Markus Stradner rund 170.000 Bettgeher und Untermieter. „Das wurde damals als großer Fortschritt betrachtet, weil das Wohnen so teuer war und dieses Prinzip als effiziente Lösung betrachtet wurde“, so Hannes Horvath. Die prekären Verhältnisse fordern ihren Tribut: „Vor dem Ersten Weltkrieg sind in den Arbeiterbezirken 25 Prozent aller Kleinwohnungen mit sechs oder mehr Personen belegt“, erzählt Markus Stradner, Pressesprecher von Wiener Wohnen. „Die extrem dichte Belegung der Behausungen und die unhygienischen Zustände haben Seuchen zur Folge. Die Tuberkulose wird als Wiener Krankheit bezeichnet, weil sie im europäischen Vergleich in Wien Spitzenwerte erzielt und als typische Volksseuche der Arbeiterschaft gilt. Ab dem Jahr 1910 häufen sich Hungerrevolten und Mieterstreiks.“ ##Wohnungsnot nach Kriegsende? Mit dem Ausbruch des Krieges kommt die Neuproduktion von Wohnraum praktisch zum Erliegen. Auch ist man sich in der Wiener Stadtverwaltung unschlüssig, welche Situation am Ende des Krieges zu erwarten sein wird. Im Rahmen der „Flugschriften für Österreich-Ungarns Erwachen“ 1917 stellt der Wiener Bürgermeister Richard Weißkirchner im Rahmen der Schrift „Städtische Wohnungspolitik“ eben diese Frage: „Die Frage, ob eine Kleinwohnungsnot gewärtigen sei, ist bekanntlich umstritten. Gegen die Kleinwohnungsnot wird die traurige Tatsache hervorgehoben, daß zahlreiche Haushalte durch den Tod des Familienvaters der Auflösung verfallen werden. Für eine Kleinwohnungsnot wird eine ganze Reihe von Umständen aufgezählt: die Errichtung neuer Haushaltungen nach dem Kriege infolge der Kriegstrauungen, das Unterbleiben jeder Bautätigkeit durch mehrere Jahre, das soziale Herabgleiten vieler Familien und endlich starke Zuwanderung in die Städte.“ Weißkirchner misst dem Faktor der Zuwanderung dabei die größte Bedeutung zu, wobei er anmerkt, dass dieser in keiner Weise vorauszusehen sei. Immerhin könne man die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung nach dem Krieg, von der diese Zuwanderung abhänge, nicht abschätzen. Doch noch während und nach Ende des Krieges kristallisiert sich ein akuter Wohnungsmangel heraus – trotz abnehmender Bevölkerungszahl durch Abwanderung in die ehemaligen Kronländer und Geburtenrückgang. Verschiedene Faktoren wie etwa Hyperinflation und der neu eingeführte Mieterschutz machen das Baugeschäft für Private einfach nicht mehr rentabel. Und damit ist auch schon eines der wichtigsten Stichworte gefallen, die die österreichische und vor allem Wiener Wohnkultur bis heute prägen.
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© Cachalot Media House GmbH - Veröffentlicht am 02. Oktober 2014 - zuletzt bearbeitet am 14. August 2025


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AutorBarbara Wallner
Tags
Wohnen
Markt
Wohnkultur
Geschichte
Erster Weltkrieg

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