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Der Donut – die Ossi-Banane des Wieners
Ich verstehe zwar nicht, wieso man sich für süßes Kringelgebäck zwei Stunden anstellt, wenn es das gleiche Zeug ums Eck ohne Wartezeit gibt. Aber: Wenn Andere so ihre Traumata los werden, soll es mir recht sein.
Mittlerweile geht es. Aber manchmal stehen sie immer noch bis zum übernächsten Hauseingang Schlange – und das bei jedem Wetter. Dann freut sich mein bester Freund: Der kommt nämlich aus der ehemaligen DDR. Und litt. Jahrelang. Unter dem Bananen-Syndrom. Also jenem spöttischen Lächeln, das „Wessis“ gerne aufsetzen, wenn die Rede auf für Bananen stundenlang Schlange stehende „Ossis“ kommt. Damals, vor dem Fall der Mauer. Gerade so, als könnten sie, die „Wessis“, irgendetwas dafür, zufällig ein paar Kilometer westlich von Mauer oder Zaun geboren worden zu sein. Egal. Weil mein bester Freund sich jetzt von der Last des hämischen Grinsens befreit fühlt – und alles, was ihm da an (natürlich immer nur subkutan transportiertem) Hohn entgegenschwappte, abbauen kann. Kompensation durch Transmission, nennt er das. Und lacht. Über uns. „Aus Ost wird Ösi“ sagt er – und meine aber nicht alle Österreicher. Sondern Menschen wie mich. Wiener. Aber obwohl ich einer – sogar ein „echter“, wenn es das gibt – bin, kann ich ihm nicht böse sein. Weil ich es ja selbst nicht verstehe.
Die Sache ist die: Im November eröffnete auf der Mariahilfer Straße die erste Österreich-Filiale von Dunkin\' Donuts. Also jener US-Franchise-Kette, die seit 60 Jahren süßes Kringelzeug verkauft. Mittlerweile in 35 Ländern. In 11.000 Shops. Franchise. Dunkin’ Donuts hat täglich über fünf Millionen Kunden: Die Chance, dass Sie da, irgendwo auf diesem Planeten – im Urlaub, am Flughafen, zwischen zwei Businessterminen in irgendeinem urbanen Office-Gebiet – schon Kunde waren, ist vergleichsweise hoch. Dennoch drehten die Wiener durch. Zwei Stunden und länger standen sie an. Und zwar bei jedem Wetter, zu jeder Tageszeit – und nicht nur am ersten oder zweiten Tag: Wochenlang. Ich wohne ums Eck – und bin täglich mehrmals an den sich oft über hundert Meter die Fassaden (von Windschutz zu Windschutz) mäandernde Schlangen vorbeigewandert. Anfangs staunend. Dann verständnis- und zuletzt fassungslos. Auch, weil ich nicht einmal dann, wenn es da um Bagels und Donuts ginge, die Paul Bocuse oder Ferrand Adria persönlich, händisch und individuell auf meine Geschmackspapillen zugeschnitten vor meinen Augen herstellen, zwei Stunden auf ein 1,69-Euro-teures Gebäckstück warten würde. Schon gar nicht in nasskaltem Regenwindwäh-Grausewetter. Und erst recht nicht, wenn ich das praktisch idente Produkt 250 Meter weiter ohne erwähnenswertes Anstehen bekomme. Wobei 250 Meter ohnehin schon den 1:1-Mitbewerber in der „Fern“-Distanz beschreibt: Zwei Blocks von „Dunkins´“ entfernt befindet sich das Outlet von „Tasty Donut“. Und am Weg zwischen den beiden Ketten-Lokalen finden sich gefühlte 100 Bäckereien, Coffeshops und Bürgerlokale – die seit Jahren alle was anbieten? Erraten. (Nebenbei: Die bei „Tasty“ jubeln. Ihr Umsatz hat sich dank des Dunkin-Hypes verdoppelt. Und da die Leute, die bei „Tasty“ aufschlagen, vom Dunkin-Schlangestehen sauer auf den Mitbewerber sind, „freuen Sie sich doppelt, dass es bei uns schneller geht – und kommen gerne wieder“, sagt das Mädchen hinter der „Tasty“-Budel.) Egal: Denn irritiert die Ausweichoption die breite Masse? Keine Sekunde. Man steht. Ist grantig. Aber wartet. Weil die Anderen es ja auch tun. Wieso eigentlich? Und bevor Sie mir jetzt sagen, dass Werbung, PR und Marketing eben wirken: Ja eh, ich weiß es auch selbst. Der Mensch ist neugierig. Und Masse zieht Masse an. Am ersten Tag. Am zweiten. Meinetwegen in der ersten Woche. Aber: drei Wochen nach der Eröffnung? Auch da war die Schlange da.
Sechs, sieben Wochen danach – also während ich das schreibe – übrigens auch. Obwohl sie, zugegeben, jetzt nicht ständig da ist und auch nicht mehr auf 100 und mehr Meter anwächst. Aber geben tut es sie noch. Und das ist gut so. Eben weil sie meinen besten Freund von seinem Bananen-Ossi-Anstell-Trauma therapiert hat: „Du hast echt keine Ahnung wie das ist, wenn dich alle ständig mit einem mitleidig-höhnischen Grinsen angrinsen, sobald irgendwo eine Banane liegt“, sagte er vor wenigen Tagen – und sah mir dabei mit einer Mischung aus Mitleid und Treuherzigkeit in die Augen, die unmöglich ganz ehrlich gemeint sein konnte. Dann wurde seine Miene schelmisch: „Aber keine Angst: Du wirst es lernen. Denn wenn sich rumspricht, wie lange ihr Wiener Euch für einen 0815-Donut anstellt, seid ihr unsere Ablöse. Endlich.“ Er griff in seine Tasche. „Ich habe dir aber etwas mitgebracht, um dich zu trösten.“ Sprach, lachte – und hielt mir einen Donut hin: „Du musst dich dafür nicht einmal anstellen!“ Der Ostdeutsche, der seit über zehn Jahren in Wien lebt, sah nach seinem Lachkrampf aber zufrieden aus: „So, ich glaube, unsere Ossi-Kiste ist hiermit Geschichte: Ich muss nur schauen, dass sich das in Deutschland rumspricht, dass der Donut die Banane des Ösis ist. Mit einem kleinen Unterschied: Wir mussten für Bananen ohne Anstellen über die Mauer. Ihr müsstet nur in den Laden nebenan.“ «
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AutorThomas Rottenberg
Tags
Wien
Meinung
Ostdeutschland
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Donut
Banane
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