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Ein Haus, das zwischendurch wieder lebt
Die Phase vor der Sanierung eines Altbaus ist oft heikel: Leerstand kostet – und zieht ungebetene Gäste an. In Wien zeigt ein Hausbesitzer gemeinsam mit einer jungen Architekten, wie man aus der „toten Zeit“ eine Win-win-Situation machen kann.
Schuld an der ganzen Sache ist eine Frau. Obwohl sie das vermutlich gar nicht weiß – und ganz bestimmt nicht beabsichtigt hatte. Dennoch: Wenn Lukas Böckles Freundin im Frühsommer 2012 dem 30-jährigen Jungarchitekten aus Vorarlberg nicht zunächst mitgeteilt hätte, dass sie ab sofort nur mehr seine Ex-Freundin wäre und ihm danach die Schlüssel zur gemeinsam bewohnten Wohnung abgenommen hätte, wäre das schmucklose und ein bisserl heruntergekommene Haus in der Schönbrunnerstraße von innen genau das, wonach es von außen aussieht: eines jener Wiener Zinshäuser, die ihre beste Zeit ganz eindeutig hinter sich haben – und traurig vor sich hin bröckelnd darauf warten, dass ihnen ein Investor oder Sanierer mit dem Musenkuss von Totalsanierung und / oder Dachgeschoßausbau neues Leben, neuen Charme und neue Hoffnung schenkt. Aber vorher? Nein vorher wohnt in so einem Haus niemand gern. Und manchmal geht das auch gar nicht mehr.
Das Haus in der Schönbrunnerstraße 111 in Wien Margareten ist so ein Fall. Sogar die Caritas, der der Hausbesitzer hier supergünstig bis gratis Not- und Übergangswohnungen zur Verfügung stellte, winkte dankend ab – und wünschte dem Besitzer alles Gute und rasche Behördenwege für seine Pläne: Das Haus soll sockelsaniert und aufgestockt werden. Die Zone in Margareten, in der das Haus steht, hat Potenzial. Ist nach Karmeliterviertel und Brunnenmarkt vielleicht das „next big thing“ der jungen Wiener Wohnungssucher. Geplanter Baubeginn: Herbst 2013. Oder Frühjahr 2014.
Was das mit Lukas Böckles – nunmehr – Ex-Freundin zu tun hat? Unmittelbar natürlich nichts. Aber zufällig arbeitete Böckle zu jener Zeit bei der Architektengruppe „Mikado“. Und die steckten gerade in den Planungsarbeiten für das Haus in der Schönbrunnerstraße. Und als Böckle von seinem Rausschmiss erzählte, sagte der Chef „wart mal kurz“, griff zum Telefon – und hatte wenig später einen Vorschlag: „Es ist zwar nicht das Ritz – aber wenn du willst und sonst nix hast, kannst du ein paar Nächte in der Schönbrunnerstraße unterschlüpfen. Der Hausbesitzer ist einverstanden.“ So kam es, dass der 30-Jährige plötzlich 160 Quadratmeter Wohnraum hatte. Abgewohnt, baufällig und desolat – aber mit 30, ohne eigene Bleibe und als Lösung auf Zeit kann man sich das alles unter dem Sammelbegriff „Patina“ schönreden. Und ein bisserl in Träumen von alternativen, offenen und spannenden Wohnprojekten schwelgen. Architekten ist eigen, Träume in Pläne zu packen. Oder in Konzepte. Und dann zu versuchen, sie umzusetzen. Lukas Böckle ist da keine Ausnahme. Mehr noch: Böckle arbeitete gerade an seiner Diplomarbeit – und in der geht es, erraten, um Zwischennutzungen. „Ich habe aus meiner Diplomarbeit einfach ein Projekt gemacht“, lacht er, wenn er heute durch „sein“ Haus führt.
Natürlich weiß Böckle ganz genau, dass das Haus nicht seines ist. Und er nicht bleiben kann. Das will er auch nicht: „Wir sind keine Hausbesetzer. Es gibt eine ganz klare Abmachung mit dem Eigentümer. Das weiß jeder, der hier hereinkommt – und wenn diese Abmachung jemandem nicht passt, dann muss er sofort wieder gehen.“ Denn Böckle ist längst nicht mehr allein zu Haus. Und die 160 Quadratmeter sind schon lange nicht mehr genug für ihn und seine Kollegen. Oder Freunde. Oder Vereinsmitglieder. Oder wie auch immer man das nennen will: Das Haus Schönbrunnerstarße 111 lebt nämlich wieder. Von der Dachterrasse bis zu den Erdgeschoßlokalen. In den Wohnungen, im Hof – und in den Stiegenhäusern – und das Seltsame: In Wien bekam davon bislang kaum jemand etwas mit. Aber bei alternativ Reisenden und jungen Künstlern aus ganz Europa ist die Schönbrunnerstraße 111 seit dem Sommer ein Begriff. Denn Lukas Böckle öffnete (in Absprache mit dem Hausbesitzer) seine Tür. „Ich habe das in Fernost immer geschätzt, wenn man als Backpacker nicht in sterilen Hotels unterkam, sondern in Häusern, wo Gastgeber und Reisende tatsächlich miteinander wohnten, kommunizierten und lebten.“ Beim Versuch, wie und ob so eine Kurzzeit-WG auf (aus rechtlichen Gründen) Vereinsbasis auch in Wien funktionieren könnte, zahlte Böckle zunächst Lehrgeld: „Das Konzept ,Pay as you wish‘ funktioniert überall auf der Welt – außer in Österreich.“ Doch Böckle glaubte an seinen Traum – und wird mittlerweile über diverse Couch-Surfing-Onlineplattformen nur von jenen gefunden, die sich an die international üblichen Spielregeln solcher offenen Wohnzimmer halten: Wer „Pop Inn 111“ googelt, findet im Netz geradezu euphorische Rezensionen von Rucksackreisenden aus der ganzen Welt – dabei ist der „Standard“ des knappen Dutzends Schlafplätzen an der Schönbrunnerstarße wirklich „basic“. „Das ist weder Hotel noch Herberge“, betont Böckle.
Was die Besucher begeistert, ist das Drumherum: Fast die komplette zweite Stiege des Hauses verwandelte sich mittlerweile in Künstlerateliers. Da wird gemalt und gezeichnet, gebildhauert und gestaltet. Auch in manchen Wohnung des Vordertraktes sind Künstler am Werk. „Das hier wird das Jagdzimmer“, erklärt etwa Bastian Petz, während er Bilder von röhrenden Hirschen und Rehbockgeweihe an eine gerade getrocknete, pastellfarbig gestrichene Wand hängt. Der aus Berlin stammende Wiener dreht in seinem „Themenzimmer“ aber den Spieß um: „Der Raum heißt ,Fight back‘ – weil die Tiere sich wehren.“ Dass die Installation ein Ablaufdatum hat, stört ihn nicht: Wo sonst finden Künstler ganze Wohnungen, um sich auszutoben? Oder ganze Stiegenhäuser: „Das ist ein Bild von Nychos!“ Lukas Böckle zeigt auf ein sich über zwei Stockwerke des Stiegenhauses ziehendes Graffiti – und ist ganz offensichtlich megastolz darauf. Kein Wunder: In der europäischen Graffitiszene ist Nychos ein Superstar. Noch nicht so bekannt wie das Sprayer-Phantom „Banksy“, aber doch auf dem Sprung in die Liga, in der Sammler und Museumschefs bunte Mauer- und Verputzstücke kaufen und ausstellen, anstatt von Vandalismus zu sprechen.
Auch andere Räume und Wohnungen werden künstlerisch genutzt: Böckle selbst „gönnt“ sich und seiner Band einen Proberaum – mit Erker und Blick auf die Straße. Fotografen stehen mittlerweile Schlange, um in den verlassenen und längst ausgeräumten Wohnung bei Shootings jedweder Art die Atmosphäre von Verfall und Aufbruch einzufangen. Und Innenhof und Dach des Hauses sollen im Rahmen eines „Urban Gardening“-Projektes im Sommer begrünt werden – bis dahin erfüllt die kleine Terrasse mit feinem Stadtblick aber einen anderen Zweck: „Urban Camping“ – wer will, kann hier sein Zelt aufschlagen. Oder einfach auf der Isomatte im Schlafsack unter den Sternen schlafen. Dass all das ein wenig Hausbesetzercharme versprüht, weiß Lukas Böckle natürlich selbst. Aber genau darum ist es ihm wichtig, immer wieder zu betonen, dass „wir ein sehr gutes, sehr ehrliches und absolut transparentes Verhältnis zum Besitzer der Immobilie haben“. Jeder, der nur einen Fuß ins Haus setzt, wird deshalb auch Mitglied des Vereins, den Böckle gründete, um sein Projekt umsetzen zu können. Und obwohl in den Vereinsspielregeln die Endlichkeit aller Aktivitäten im Haus ganz eindeutig betont wird, verlangt Böckle von seinen „Mitgliedern“ auch, dass sie einen Rechtsmittelverzicht unterschreiben. „Ich will niemanden reinlegen. Das wäre nur ein Schuss ins Knie. Wenn wir uns hier korrekt verhalten und das jeder sieht, steigen unsere Chancen, danach anderswo ein neues, ähnliches Projekt umzusetzen. Das ist doch das Spannende an solchen Zwischennutzungen.“ Das sieht auch der Besitzer der Liegenschaft so: Wolfhard Kopatschek, Geschäftsführer und Miteigentümer der Wiener „Immosys“, ist Spezialist für Sanierungen und Aufwertungen von Immobilien wie dem Haus in der Schönbrunnerstraße. Dass da ein Mitarbeiter „seiner“ Architekten kurz ein Dach überm Kopf brauchte, wäre für ihn nicht weiter erwähnenswert gewesen – was sich daraus entwickelte, findet er aber „sehr interessant. Für mich als Developer ist das eine ganz neue Sache. Die Idee und das Konzept gefallen mir. Und dass eine so abgewohnte Immobilie doch zu etwas genutzt werden kann, finde ich toll.“ Kopatschek sagt ganz klar, dass er nicht einfach nur als Gönner auftritt, der hier sein Image als Freund alternativer Konzepte aufpoliert: Die Zwischennutzer helfen ihm, Kosten zu sparen – schließlich tragen sie die weiter anfallenden Betriebskosten und Gebühren des an sich leer stehenden Hauses zumindest anteilig mit. Außerdem, weiß Kopatschek: „Leerstand ist ungesund. Er zieht mitunter Leute an, die man nur schwer wieder los wird oder die massive Schäden hinterlassen.“ In anderen Objekten habe er auch deshalb immer wieder die Caritas eingeladen, Wohnungen auf Zeit an Bedürftige zu vergeben. „Aber in diesem Haus waren die Wohnung in einem Zustand, den die Caritas für nicht nutzbar befand.“ Dass da keine sozial Bedürftigen zurückgereiht werden, erklärt der Immobilienentwickler, sei für ihn „sehr wichtig“ gewesen.
Kopatschek betont aber auch, dass ihm das, was vermutlich bis in den Spätherbst in seinem Haus geschieht, weder Sorgen noch Ängste bereitet: „Wir haben einen Vertrag – und an den halten sich alle Beteiligten. Aber eines ist noch viel wichtiger: Vertrauen. Und solange das auf beiden Seiten da ist, ist das eine echte Win-win-Geschichte“. «
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AutorThomas Rottenberg
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