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Geisterstädte einmal anders

Manchmal liegt es an der Perspektive. Im Vergleich zu China haben die Gemeindeväter von heimischen „Landfluchtregionen“ Luxusprobleme. Dass die Landflucht in Österreich bestenfalls verzögert, aber nicht wirklich aufgehalten werden kann, ist Fakt. Denn die Bevölkerung wandert zunehmend und in Wahrheit unaufhaltsam in Ballungsräume ab. Daran konnte bis dato auch das neue Arbeiten via Internet wenig ändern. Die Folge: Der dörfliche Raum dünnt unaufhaltsam aus, die großen Städte werden noch größer, aber die kleinen Dörfer – aber auch die mittleren Städte außerhalb von Ballungsräumen – sehen sich mit sinkenden Bevölkerungszahlen konfrontiert. Irgendwann – und da reden wir von einigen Jahrzehnten, wenn der Trend so weitergeht – drohen Geisterdörfer und sogar Geisterstädte. Wie sich das „anfühlen“ könnte, kann man heute schon erproben, nämlich in China. Dort sind Geisterstädte zwischenzeitig zu einem echten Problem geworden, auch wenn es dort andere Ursachen hat. Ein Lokalaugenschein der besonderen Art. Mit dem Sonnenuntergang verschwinden die Straßen und Häuser in tiefer Finsternis. Die Laternen bleiben dunkel, keine Menschen gehen vorbei – der große Platz vor der Kirche in Shanghais Vorort Anting New Town wird komplett von der Nacht verschluckt. Doch auch acht Jahre nach dem Einzug der ersten Bewohner leben dort kaum Menschen. Chinesische Medien sprechen sogar schon von der „deutschen Geisterstadt“. Denn für die Menschen in der Gegend ist Anting eine deutsche Stadt, weil sie von den Frankfurter Stadtplanern von Albert Speer & Partner (AS&P) entworfen wurde. Anting reiht sich damit in eine lange Liste ein. In China geht die Angst vor Geisterstädten um. Häuser und Apartments galten als gute Geldanlage, und so schossen im ganzen Land neue Vororte oder ganze Städte wie Pilze aus dem Boden. Aber nun warnt selbst das Parteiorgan „Volkszeitung“ vor einer gewaltigen Immobilienblase: „Aufgrund schlechter Planung werden aus vielen neuen Städten im Endeffekt Geisterstädte.“ Bereits 200 weitere Städte seien in Planung, kritisiert das Parteiblatt. Auch einige der mächtigen Immobilienmogule stimmen in das Sorgenlied mit ein. Während in fast allen Großstädten Chinas die Hauspreise jährlich zweistellig in die Höhe schnellen, warnt der Chef von Chinas größtem Immobilienkonzern „Vanke“, Wang Shi: „Es gibt ganz offensichtlich eine Immobilienblase, und es ist möglich, dass sie außer Kontrolle gerät und platzt.“ Und auch der Multimilliardär Wang Jianlin spricht von den Gefahren von Chinas Immobilienboom. Es ist paradox: Auf der einen Seite wird Wohnraum in Chinas Großstädten für viele Menschen nicht mehr bezahlbar, auf der anderen Seite stehen ganze Vororte nahezu leer. Die urbane Bevölkerung ist laut Chinas Statistikbehörde bereits auf mehr als 700 Millionen Menschen gewachsen. Erstmals in der Geschichte Chinas leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Und Ministerpräsident Li Keqiang hat mehrfach erklärt, dass die Regierung die Urbanisierung weiter vorantreiben will. Damit möchte die Staatsführung den Binnenkonsum antreiben, um das Wirtschaftswachstum langfristig zu sichern. Aber trotzdem müssen viele neu aus dem Boden gestampfte Orte um jeden Bewohner werben. Ohne Schulen, Krankenhäuser oder Theater könnten die neuen Viertel kaum Menschen anlocken, sagt Johannes Dell, Chef der China-Niederlassung von AS&P: „Wenn keiner dort wohnt, können auch keine Geschäfte aufmachen. Und wenn keine Geschäfte aufmachen, will dort auch niemand wohnen.“ Letztlich müssten die Kommunen und Stadtregierungen Geld für die nötige Infrastruktur in die Hand nehmen. In Anting passiert das gerade. Seit Oktober hält die Shanghaier U-Bahnlinie 11 in Anting. Von September 2015 an soll es eine Schule bis zur 9. Klasse in dem Ort geben. Gleichzeitig treiben die gigantischen Wohnungspreise die Menschen aus Shanghais Innenstadt an die Stadtgrenzen – und damit auch nach Anting. In den fertiggestellten Wohnblöcken könnten bis zu 25.000 Menschen leben. Bisher sind es nach Auskunft der Verwaltung aber erst 7.000. Anting steht damit auch für die Hoffnung, wie China einer Immobilienkrise noch entgehen könnte. Gerade in der Nähe von Chinas Metropolen besteht für die Geisterstädte große Hoffnung, doch noch viele Bewohner zu gewinnen, vermutet Professor Liu Yuanchun von der Pekinger Volksuniversität. „Während es in Chinas Megastädten immer voller wird, können kleine und mittelgroße Städte von den Entwicklungen profitieren. Es ist klar, für welche Orte sich die Menschen dann entscheiden.“ ##Nachhaltige Stadtentwicklung in China: Yaxi New Town wird energieneutral Yaxi Town gilt als Musterbeispiel für nachhaltige Stadtentwicklung. Die in Gaochun County im Nanjing District gelegene Stadt wurde 2010 als Slow City zertifiziert und ist damit die erste chinesische Stadt, die diese Auszeichnung erhielt. Die weltweite Slow-City-Bewegung ist in Anlehnung an die italienische Slow-Food-Bewegung entstanden und will einen nachhaltigen Gegenpol zum hektischen Leben in vielen Städten schaffen. Ein Teil der 20.000-Einwohnerstadt – die Yaxi New Town – soll ebenfalls Vorbildcharakter erhalten und CO2- sowie energieneutral werden. Um dieses Ziel umzusetzen, beauftragten die zuständigen Architekten BAU Brearley Architects + Urbanists Drees & Sommer im Mai 2013 mit der Entwicklung eines umfangreichen Energiekonzepts für das 582 Hektar große Areal. Der Kontakt kam über den Drees & Sommer-Standort in Shanghai zustande. Das Energiekonzept beinhaltet unter anderem die Nutzung von erneuerbaren Energien – gewonnen vor allem aus Biogasanlagen. Dafür wird eigens eine Energiefarm gebaut: ein Schweinemastbetrieb, dessen Nebenerzeugnisse zur Energiegewinnung genutzt werden. Ergänzend dazu wird Solarenergie aus Fotovoltaikanlagen eingesetzt. Die Region ist eher windarm, sodass Windkraftwerke keine wirtschaftliche Option zur Energiegewinnung bieten. Via Smartgrids wird überschüssiger Strom in das dortige Industriegebiet weitergeleitet. In Yaxi New Town leben derzeit circa 5.000 Menschen. Insgesamt rechnet die Regierung der Stadt, die das Projekt finanziert, mit einem Bevölkerungswachstum von 86 Prozent bis 2030. Das Wachstum ist vor allem auf die Landflucht in der Region zurückzuführen. Yaxi verfügt mit Industrieunternehmen aus der Chemie- und Maschinenbauindustrie über ausreichend Arbeitsplätze. Das Energiekonzept sieht vor, voraussichtlich 13.000 Haushalte mit dem aus erneuerbaren Energien gewonnenen Strom zu versorgen. Anders als in Deutschland ist es in China nicht erlaubt, Stromüberproduktionen – zum Beispiel aus privaten Fotovoltaikanlagen – ins öffentliche Netz einzuspeisen. Die Regelsysteme der Netze sind dafür nicht ausgelegt. Damit waren die Herausforderungen an die Energiemanager besonders hoch: Es galt zum einen, Optionen auszumachen, mit denen lokal regenerativer Strom produziert werden kann, und ein Netz – das Yaxi Smart Grid – zu planen, über das nur Yaxi New Town versorgt wird. Zum anderen musste ein Anschluss an das öffentliche Netz vorhanden sein, das angezapft werden kann, wenn der eigenproduzierte Strom nicht ausreicht. Drittens war es erforderlich, Leitungen zu planen, die überschüssigen Strom in das 200 Hektar große Industriegebiet transportieren – dort herrscht erfahrungsgemäß ein hoher Energieverbrauch. Um zu analysieren, welche erneuerbaren Energiequellen in Yaxi besonders effizient genutzt werden können, haben die Experten das Areal gründlich unter die Lupe genommen. „Erhebliche Potenziale bieten vor allem Solarenergie und Biogasanlagen – versorgt durch die Energiefarm sowie durch die umliegenden landwirtschaftlichen Betriebe mit ihren Abfallerzeugnissen“, beschreibt Gregor Grassl, Projektpartner bei Drees & Sommer, das Ergebnis. Zusätzlich gibt es in der Region ein hohes Aufkommen an Wasserhyazinthen. Die ursprünglich aus den südamerikanischen Tropen stammende Pflanze hat sich aufgrund des warmen Klimas und des Mangels an Fressfeinden in der chinesischen Region stark ausgebreitet und wurde dort zur Plage. Allerdings kann aus der Vergärung von Wasserhyazinthen Energie gewonnen werden. Insgesamt ist in Yaxi ausreichend Material zur Strom- und Wärmegewinnung über Biogasanlagen vorhanden. Auch die Abwärme aus dem direkt angrenzenden Industriegebiet fließt dem Kreislauf wieder zu. Ergänzend zum Energiekonzept hat Drees & Sommer auch ein Wasserkonzept entwickelt, um damit die Wasserqualität erheblich zu verbessern. In der Region ist es üblich, landwirtschaftliche Abfälle direkt in den Flüssen zu entsorgen. Rund um Yaxi werden künftig Filter eine Beeinträchtigung der Wasserqualität verhindern. Parallel zum Ausbau des Stromnetzes werden Neubauten so geplant, dass sie energieeffizient sind und in das Stadtbild mit seinen bereits vorhandenen Gebäuden, Flüssen und Parks passen. Zudem war auch Yaxi Old Town – die sich als Slow City einen Namen gemacht hat – anzubinden, beispielsweise durch elektrisch betriebene öffentliche Verkehrsmittel. «
Einerseits wird Wohnraum in Chinas Großstädten für viele unbezahlbar, anderer­seits stehen ganze Vororte nahezu leer.
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© Cachalot Media House GmbH - Veröffentlicht am 02. April 2014 - zuletzt bearbeitet am 07. Oktober 2024


GR
AutorGerhard Rodler
Tags
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