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Herausforderung Gesundheitsimmobilie
Gesundheit, Immobilie und Planung – wo bleibt der Mensch?
Kein Tag, an dem man nicht über die neue Gesundheitsreform, das mot du jour Primary Health Care oder den Zankapfel ELGA stolpert. Auch die Bauwirtschaft bleibt von den aktuellen Prozessen am Gesundheitssektor nicht unberührt. Spitäler werden zusammengelegt, neu- oder umgebaut. Krankenanstalten, Reha- und Ärztezentren werden errichtet. Der Bedarf ist groß, die Themen Gesundheitsimmobilie und raumstrategische Gesundheitsplanung erhalten einen neuen Anstrich. Stellen Gesundheitsimmobilien schon seit jeher Entwickler und Planer vor besondere Herausforderungen, kommen aktuell eine Reihe an Faktoren hinzu, die der Entwicklung einer solchen Immobilie heutzutage geschuldet sind. Im Rahmen der Konferenz „Die Spital 2014“ mit dem Schwerpunkt Bau & Betrieb von Gesundheitsimmobilien am 25. Juni 2014 im Austria Trend Eventhotel Pyramide Vösendorf sprach man beispielsweise vor allem jenen Punkt an, der gemeinhin als „Nachhaltigkeit“ bezeichnet wird. Der weltweite Trend gehe prinzipiell in Richtung Langzeitplanung, so DI Martin Krammer, Präsident des ÖVKT. Das Thema der Stunde seien der Lebenszyklus von Gebäuden sowie Planung und Betrachtung eben dieser Zyklen über die bloße Bauphase hinaus. Dies hätte man bis vor Kurzem im Grunde versäumt, zumindest aufseiten der Projektentwickler. Man plädiere für die Abwendung von einer „Und hinter mir die Sintflut“-Projektentwicklung hin zur prozessorientierten Planung, insbesondere auch im Bau.
Die Schweiz setzt hierbei revolutionäre Maßstäbe mit raumstrategischen Entwicklungshorizonten bis ins Jahr 2060. Es ist anzunehmen, dass man in Österreich noch nicht so weit ist. Was man sich aber auch in Österreich und insbesondere in Wien zu Herzen nehmen sollte, ist der Aufruf Krammers, die Krankenhäuser in den städtebaulichen Prozess einzubinden. Wohl nicht nur die Krankenhäuser, sondern jede Gesundheitsimmobilie sollte nicht nur raumstrategisch, sondern darüber hinaus auch im raumästhetischen wie auch raumfunktionellen Sinne in das Städtebild eingewoben werden. Die Erkenntnis, dass Umgebung und deren Gestaltung nicht nur Einfluss auf die allgemeine Gesundheit, sondern vor allem auch auf den Genesungsprozess hat, lässt die Frage im Raum stehen, weshalb Krankenhäuser so lange Zeit am Patienten und damit am Menschen vorbei geplant und gebaut wurden. Gebaut mit einer Attitüde, die dem Patienten eher gnädigerweise am Schluss ins Gebäudekonzept Zutritt gewährte, denn gebaut für den Patienten und jene Menschen, die tagtäglich dort ihre Arbeit verrichten.
Manche Stimmen meinen, Krankenhäuser werden künftig ohnehin keine mehr gebaut, sondern von kleinstrukturierteren Gesundheitszentren abgelöst. Wenn man es schaffen würde, diese nicht nur in den raumstrategischen, städtebaulichen Prozess einzubinden, sondern darüber hinaus funktionelle, aber bauästhetische, energetisch-nachhaltige und am Menschen orientierte Projekte zu entwickeln, dann wäre die „Humanisierung“ der Gesundheitsimmobilie bereits einen ganzen Schritt weiter. Ein weiteres Wort der Stunde ist jenes des „Best Point of Service“. Gemeint ist damit gemeinhin die Lokalisation der Patientenversorgung im System, und zwar in möglichst effizienter Form hinsichtlich Versorgungsleistung und Kostenfaktor. Auf gut Deutsch: wann der Patient wie, von wem und bei minimalen Kosten mit der für ihn besten medizinischen Leistung behandelt wird. Belässt man diese integrale Fragestellung innerhalb des virtuell Prozesshaften, minimiert sich der „Best Point of Service“ auf eine systemimmanente Problematik. Erweitert man den Point jedoch um das Räumliche und addiert eine physische Komponente, so sind wir plötzlich in einer raumstrukturellen und städtebaulichen Fragestellung angelangt. Und nimmt man an dieser Stelle die drei großen L der Immobilienbranche her – „Lage! Lage! Lage!“ –, so erhöht sich die Suche nach dem „Best Point of Service“ um eine zusätzliche Dimension – die der Infrastruktur- und Raumplanung.
Jeder Form der daseinsorientierten Planung, der ja grundsätzlich unterstellt werden kann, dass sie immer das Optimum anstrebt, liegt zuerst das Ziel zugrunde, die Lebensqualität und damit die Gesundheit der Menschen zu gewährleisten, zu fördern und zu sichern. Ob effektiv als Thema des Gesundheitsbereiches deklariert oder unter dem Mäntelchen Lifestyle and Health: Das Wohl des Menschen ist die erste Prämisse in der Stadt- und in der Raumplanung. Dennoch gibt es nur wenige stadt- und regionalwissenschaftliche Schulen, die sich dezidiert mit dem Gesundheitswesen auseinandersetzen. Erstaunlich ist diese Tatsache vor allem dahingehend, als doch die Stadtplanung, wie wir sie heute verstehen, ursprünglich genau in jenem Bereich wurzelt. Nämlich in den Umwälzungen der Industrialisierung und ihren Nachwirkungen – den untragbaren Lebensumständen dieser Zeit, dem Erwachen eines Bewusstseins für die Gesundheit der Menschen, das in direkter und untrennbarer Weise von den städtebaulichen Dispositionen abhängig ist. Die Erkenntnis über den Wert der Gesundheit innerhalb der Gesellschaft und deren direkte Abhängigkeit von den äußeren Lebensumständen resultierte in strategischen Planungsentscheidungen zur Erhöhung der Wohn- und Lebensqualität – der heutigen Stadtplanung im weitesten Sinne.
Wann aber wurde der Sektor Gesundheitswesen beinahe komplett aus dem wissenschaftlichen Diskurs über städtische Lebensqualität und Relevanz für strategische Planungsentscheidungen ausgeblendet? Wann wurde Gesundheit zum gestreiften Randthema, zum marketingtechnisch-obligatorischen „Sidekick“, um Stadtplanungsprodukte als nachhaltiger, ökologischer, „gesünder“ zu verkaufen, ohne sich dabei tatsächlich mit der Tiefe und Tragweite der Thematik zu befassen? Sind die Grundpfeiler der Stadt- und Raumplanung nicht die Optimierung der Balance verschiedener Ebenen des Alltags und demografischer Wandel, zunehmende Privatisierung des Gesundheitswesens und Ungerechtigkeiten in sozialer Verteilung oder Segregation, aber harte Fakten der Lebenswirklichkeit vieler Menschen sind – sollte dann nicht ein Kernelement der Stadtplanung die Auseinandersetzung mit der Verteilung und Gewährleistung von Gesundheitsleistungen sein? Sollte der „Best Point of Service“ im Gesundheitswesen nicht auch auf raumstrategischen und städtebaulich wertvollen Pfeilern beruhen? Wenn (Milieu-)Studien zeigen, dass die Zahl an Krankheitsfällen, Depressionen bis hin zur Lebenserwartung oder Suizidalität signifikant vom sozialen und Wohnumfeld abhängig sind. Wenn Städte sich bereits dazu bekennen, dass die Stadtmorphologie einen starken Einfluss auf die Gesundheit der Menschen hat – und diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern spätestens seit Engels Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses. Warum scheinen raumstrategische und stadtplanerische Komponenten in der Entwicklung von Gesundheitsimmobilien und in der Suche nach dem „Best Point of Service“ so oft ausgeblendet?
Es ist an der Zeit, die Gesundheit und das Wohlergehen des Menschen wieder als das anzuerkennen, was es ist: die Grundmotivation und das Ziel jedweder integrierten Planung. Gesundheit und deren Sicherstellung ist ein menschliches Grundrecht. Wenn etwas eine Rolle spielen sollte in der Planung der menschlichen Lebensumwelt, dann ist es eben dieses Grundrecht. Es ist bedenklich, dass die Gesundheit in der Stadtplanung und -forschung ein Komparsenleben fristet, wo doch die Gesundheit der Menschen ein evidenter Maßstab für erfolgreichen Städtebau und somit Planung und Immobilienprojektentwicklung ist.
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AutorEsther S. Blaimschein
Tags
Bauen
Gesundheitswesen
Innovation
Markt
Infrastruktur
Gesundheitsimmobilie
Krankenhaus
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