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Morgenluft für Immobranche
Die Immobilienbranche als Krankmacher? Sicher übertrieben, aber immerhin verursachen die Bauwerke 20 Prozent der Krankheiten und 40 Prozent der Emissionen. Und sie sind für 50 Prozent des Ressourcen- und 30 Prozent des Energieverbrauches. Aber: Es geht auch anders, sagt ÖGNI-Gründer Philipp Kaufmann im Gespräch.
[b]Gemeinsam mit Gunther Maier und anderen haben sie 2009 die Österreichische Gesellschaft für nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) gegründet – warum?[/b] Kaufmann: Geeint hat uns, dass wir einen Paradigmenwechsel hin zur Nachhaltigkeit durchleben und die Vordenker der Bau- und Immobilienwirtschaft diesen aktiv, gemeinsam gestalten wollen. Wir wollten Verantwortung übernehmen, denn unsere Branche ist für 50 Prozent der Ressourcen, 40 Prozent der Emissionen, 30 Prozent der Energie und 20 Prozent der Krankheiten verantwortlich. Für die 125 Gründungsmitglieder der ÖGNI waren am 29.09.2009 drei Leitgedanken entscheidend, um eine NGO zu gründen: Internationalität, Marktkräfte nutzen und „aus der Branche für die Branche“ handeln. International, da unsere Branche über die österreichischen Grenzen hinweg vernetzt ist und nationales Handeln alleine zu wenig ist.
[b]NGOs laufen immer auch Gefahr, zum Selbstzweck zu werden. Wie ist das bei der ÖGNI?[/b] Ganz klar sollte nicht eine Institution gegründet werden, die sich ein Geschäft aufbaut, sondern vielmehr sollen die Mitglieder die Chance erhalten, Green Jobs zu schaffen und mit den Herausforderungen der Nachhaltigkeit zukunftssichere Geschäftsmodelle entwickeln. Das meinen wir mit „Marktkräfte nutzen“ und auf diesem Weg sind wir bereits mit unseren weit mehr als 100 Auditoren ein gutes Stück weitergekommen. Zuletzt war es uns wichtig, dass alle (!) Akteure der Immobilienwirtschaft – vom Architekten bis zum Nutzer, vom Ingenieur zum Investor – sich in einer Organisation am „runden Tisch“ zusammenfinden, um aus der Branche für die Branche Inhalte und Standards zu entwickeln. Mit heute mehr als 300 Mitgliedern aus allen Bereichen haben wir diese Zielsetzung erreicht und sind daher die 1. Grass-Root Bewegung der Bau- und Immobilienwirtschaft.
[b]Worum geht es der ÖGNI?[/b] Inhaltlich geht es uns um einen Qualitätswettbewerb, denn ich verstehe die eindimensionale Sicht auf den Preis, der in Vergaben immer noch oft stattfindet, nicht. Wir wollen über Qualitäten reden und diese bei Immobilien aber auch in den Unternehmen einfordern. Erst mit Qualitätssicherung, sprich Simulationen, Test, Messungen und Monitoring, können wir mit Sicherheit wissen, wie unsere Gebäude gebaut bzw. bewirtschaftet sind. Was in vielen anderen Branchen, wie der Automobilindustrie, längst Uses ist, kommt nun mit dem Stichwort Qualität auch in unserer Branche an.
[b]Und was sonst noch?[/b] Des Weiteren wollen wir die Geschäftsmodelle konsequent auf den Lebenszyklus einer Immobilie ausrichten und damit nicht einzelne Phasen eines Gebäudes optimieren. Diese konsequente Optimierung des Lebenszyklus eines Gebäudes verlangt nach neuem Denken und Handeln, denn bisher haben wir in Brüchen gehandelt: geradezu legendär sind die Brüche zwischen Errichtung und Nutzung aber auch zwischen einzelnen Eigentümern in der Nutzungsphase selber. In unserer Branche herrscht hier vielmehr ein Gegeneinander als ein Miteinander vor und wir stehen für neue Formen der Zusammenarbeit. Ein Schlüssel für diese Veränderung ist die Schaffung von Transparenz und in diesem Zusammenhang die Fokussierung auf neue, bisher nicht vorhandene, Facetten. So sollen die Lebenszykluskostenbetrachtung aber auch die Ökobilanz die Folgen für unser Handeln im ökonomischen aber auch ökologischen offensichtlich machen und mithelfen, bessere Entscheidung zu treffen. Abschließend geht es uns um die Veränderung der Prozesse und dies sowohl im Unternehmen selber als auch in der Zusammenarbeit einzelner Akteure. Wir sprechen hier von neuen Abwicklungsmodellen, neue Ansprüchen im ethischen Handeln und veränderten Leistungsbildern, denn nur so kann integrale Planung, BIM oder der oben erwähnte Qualitätsanspruch von den einzelnen Akteuren gelebt werden.
[b]Was hat sich in den ersten fünf Jahren aus der ÖGNI-Idee entwickelt?[/b] Die ÖGNI hat heute ca. 300 Mitglieder und beschäftigt sich nicht nur mit der Zertifizierung von Gebäuden, sondern möchte Nachhaltigkeit auch in Unternehmen der Bau- und Immobilienwirtschaft und damit als Unternehmensphilosophie etablieren.
Die Bau- und Immobilienwirtschaft zählt nicht zu den Vorreitern der Nachhaltigkeit: Anti-Korruptions-Richtlinien, Nachhaltigkeitsberichte, Corporate Governance, CSR, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und vieles mehr sind für viele Unternehmen noch Fremdwörter. Wir müssen die Chance nutzen, damit wir weiterhin für Investoren interessant sind; viele Probleme der letzten Jahre haben den Kapitalmarkt für Immobilienprodukte schwieriger gemacht. Auch befürchte ich, dass wir nicht immer die besten Köpfe für unsere Branche gewinnen, sondern diese lieber in die Automobil-oder IT-Branche arbeiten. Als Antwort haben die Mitglieder der ÖGNI das 8-Punkte-Programm entwickelt. Diese acht Punkte verbindet, dass Nachhaltigkeit gelebt werden muss. Das Thema darf nicht an der Oberfläche behandelt werden, kein Lippen-Bekenntnis sein und schon gar nicht als Marketing-Gag erachtet werden; vielmehr wird Nachhaltigkeit zur DNA des Unternehmens und leitet die Entscheidungen: vom Strategischen bis zum Operativen.
[b]Der ÖGNI geht es aber längst nicht mehr „nur“ um Ökologie – richtig?[/b] Ein zentraler Punkt ist das ethische Handeln und hier das Etablieren von gemeinsamen Standards. Die ÖGNI hat in Kooperation mit der Initiative Corporate Governance (ICG) seit 2011 Empfehlungen und Kodizes entwickelt, die es den Unternehmen ermöglichen durch Corporate Governance, Compliance Management und Corporate Social Responsibility (CSR) umfassend nachhaltig zu agieren. Mit dem freiwilligen Regelsystem findet eine Selbstverpflichtung zu mehr Transparenz und nachhaltigem Handeln statt. Dabei geht es nicht um Gutmenschen, sondern um gutes Management. Darüber hinaus hat ÖGNI eine ethische Unternehmenszertifizierung entwickelt und im Markt etabliert. Sie ist die erste ihrer Art in Europa. Vorreiter für diese durchaus ambitionierten Themen sind die CA Immo, dem Makler EHL, Rhomberg Bau, IG Immobilien oder dem ersten kommunalen Unternehmen IIG aus Innsbruck – diese Unternehmen sind Pioniere und gehen mit gutem Beispiel voran: sie haben sich einer Unternehmenszertifizierung unterzogen.
Nachhaltigkeit als Begriff ist heute überstrapaziert. Was unterscheidet die ÖGNI von anderen Organisationen, die sich auch demselben Thema widmen? ÖGNI steht für die internationale Vernetzung, da das Thema nicht national lösbar ist. Inhaltlich erarbeiten die Mitglieder aus der Branche für die Branche Kodices, Positionspapiere und Empfehlungen zu den relevanten Fragestellungen, die wir gemeinsam beantworten müssen, um wirklich nachhaltig agieren zu können. Inhaltlich setzt ÖGNI auf den 3-P-Ansatz, denn es geht bei der Nachhaltigkeit nicht nur um die Produkte, sprich Immobilien oder Baustoffe, sondern auch um die Prozesse und deren Veränderung sowie vor allem um die Personen, denn ohne dem Wissen [BITTE SATZ KOMPLETIEREN]
[b]Thema Mietrecht. Wie könnte hier der Nachhaltigkeitsgedanke greifen?[/b] Ein Grundgedanke der Nachhaltigkeit ist es, die Lebenszykluskosten zu optimieren und somit für niedrige Bewirtschaftungskosten zu sorgen; von diesen niedrigen Betriebskosten und höheren Qualitäten profitieren die Nutzer eines Objekts, die Kosten für diese Maßnahmen trägt der Projektentwickler bzw. Investor. Alleine mit dem Argument einer besseren Vermietung sind diese Kraftanstrengungen seitens des Eigentümers aber nicht zu rechtfertigen, vielmehr soll und muss sich die Nachhaltigkeit rechnen. Darüber hinaus sind Themenbereiche, wie eine nachhaltigere Reinigung, eine gesündere Innenraumluft, besser gewartete Anlagen und vor allem Aufgaben, wie Monitoring –sprich: handeln und denken im Kreislauf – bisher Utopie und das Handlungsfeld von Gutmenschen.
[b]Dazu braucht es aber komplett neue rechtliche Rahmenbedingungen, wie soll das gehen?[/b] Um Lösungsansätze für den nachhaltigen Mietvertrag für den österreichischen gewerblichen Markt zu erarbeiten, hat Stefan Artner (Dorda Brugger Jordis) eine schlagkräftige Gruppe als ÖGNI Arbeitsgruppe zusammengerufen. Durch gezielte Vertragsklauseln und Regelungsempfehlungen, die eine nachhaltige Nutzung sowohl für Mieter als auch Vermieter verbindlich festlegen, setzen die Experten, u.a. Andreas Köttl von Value One oder Gerhard Haumer von PORREAL, einen ersten Schritt in diese Richtung. Mit dem nachhaltigen Mietvertrag hat die österreichische Bau- und Immobilienwirtschaft eine Grundlage, auf deren die Vertragsparteien (Mieter und Vermieter) eine wirtschaftliche WIN-WIN-Situation für beide Seiten gestalten können. Die große Herausforderung für alle Beteiligten ist die Veränderung bestehender Mietvertragsklauseln am Markt zu erklären, da es sich aus juristischer Sicht in Österreich um Neuland handelt. Die nachhaltigen Regelungen dürfen den ökonomischen Sichtweisen der handelnden Parteien nicht entgegenstehen, sondern müssen angemessen in das Vertragswerk integriert werden.
[b]Was sind Ihre Visionen für die nächsten Jahre und wo sehen Sie die ÖGNI in 10 Jahren?[/b] Als ÖGNI haben wir noch viel vor: neben den Zertifizierungen für Gebäude, ethisches Handeln oder Personen, beschäftigen sich die Mitglieder intensiv mit den Inhalten. Wir haben mit den Expertenkreisen ein Netz geschaffen, aus dem zu allen relevanten Themen und Fragestellungen Aufgaben erarbeitet werden, die in Arbeitsgruppen behandelt werden. Diese einzigartige Vorgehensweise ermöglicht es, dass wir erstmals alle Stakeholder bei Inhalten integrieren. Alle Vorreiter und Interessensvertretungen sind eingeladen, sich einzubringen. Wenn dabei ein konkretes Thema behandelt werden soll, dann gründen wir eine Arbeitsgruppe, die möglichst zeiteffizient festgelegte Inhalte wie eine Empfehlung, einen Kodex, ein Positionspapier oder einen Leitfaden erarbeitet. Derzeit gibt es mehr als 20 Arbeitsgruppen. Beispielhaft erarbeitet Weatherpark gemeinsam mit der BOKU, der ZAMG und weiteren Experten eine Empfehlung für das Mikroklima, welches durch Immobilien beeinflusst ist. Oder: Stefan Artner (Dorda Brugger Jordis) hat eine schlagkräftige Gruppe versammelt, die am nachhaltigen Mietvertrag für Österreich arbeitet.
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AutorGerhard Rodler
Tags
Nachhaltigkeit
Innovation
Zertifizierung
ÖGNI
Philipp Kaufmann
Interview
Energieeffizienz
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