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Neue Konzepte für den Leerstand
Seit Corona steigt die Anzahl der leerstehenden Lokale erneut. Grätzelhotels oder zentral organisierte Einkaufsstraßen sollen ungenutzte Flächen gewinnbringend und sinnvoll nutzen.
Die Corona-Situation ging an vielen Unternehmen in Handel und Gastronomie nicht spurlos vorüber - vor allem in B und C-Lagen orten Makler einen Anstieg der ungenutzten Flächen. "In diesen Gebieten gab es schon vor Corona die meisten Leerstände und wir erwarten, dass noch weitere dazu kommen werden", sagt Tanja Tanczer, Senior Retail Consultant bei Colliers International. Zugleich zeigen sich Eigentümer jetzt gesprächsbereiter - vor allem für Zwischennutzungen: "Aufgrund der Reisebeschränkungen können nun auch Interessenten aus dem Ausland nicht zu Besichtigungen kommen, was zwischenzeitlich auch für Prime Locations vorübergehende Lösungen erfordert." Tanczer berichtet von einem verstärkten Interesse für Pop-up Stores, vor allem im Kunst- und Kultursegment: "Hier sind bereits einige Gespräche am Laufen und wir merken, dass Eigentümer die Szene nach dem Lockdown nun auch aktiv unterstützen wollen." Auch wenn sich laut Tanczer die Lage bereits langsam spürbar wieder erholen würde, verlange die Situation ein Umdenken. Vor allem in den B- und C-Lagen wird es künftig bedeutsamer sein, mit einem guten Mix aus gefragten Shops und Dienstleistern und kreativen Gesamtkonzepten ganze Gegenden aufzuwerten. "Während Wohnungen tendenziell kleiner werden und es häufig an ausreichendem Stauraum fehlt, haben auch Store-Konzepte in Leerstandsgebieten weiterhin großes Wachstumspotenzial."
##Billa wird zur Wohnung
Am Wiener Kardinal-Nagl-Platz ist bereits ein nachhaltiges Facelifting im Gange: Ein Shop für den An- und Verkauf von Briefmarken, ein kleiner Lebensmittelhändler, ein neu übernommener Barber-Shop und ein Imbiss-Lokal, die in etwas heruntergekommenen Bauten aus den 60er-Jahren beherbergt sind - die noch einigermaßen verstaubt anmutende Wohngegend lässt in ihrem Gesamtbild in punkto Wirkung zugegebenermaßen noch zu wünschen übrig. Doch das ändert sich langsam: Die U3-Station mit schneller Anbindung in die City ruht in der Mitte des Platzes, was ideale Voraussetzungen für eine Aufwertung des gesamten Grätzels bringt. Zwischen den in die Jahre gekommenen Läden und Wohnhäusern sticht neuerdings eine anthrazitfarbene Fassade mit weißen Rollläden hervor. Dahinter befinden sich auf zwei Etagen vier neue Top-Wohnungen, die bei Interieur und Technik nach neuesten Standards ausgestattet sind - kontrollierte Wohnraumlüftung, Regendusche und Eichenparkett gibt es schlüsselfertig mit dazu.
Die neuen Loft-Wohnungen im Erdgeschoß sind über die Straßenfront jeweils mit einem eigenen Eingang begehbar, die U3-Station "Kardinal-Nagl-Platz" kann man von den Wohnbereichen aus durch die übergroßen Fensterfronten sehen. Was man jetzt nicht mehr erkennen kann: Dort, wo jetzt hippe Klein-Wohnungen fertiggestellt sind, stand zuvor noch eine ehemalige Billa-Filiale mehrere Jahre lang leer.
Insgesamt hat die Immacon Projektenwicklung GmbH während der letzten zwei Jahre auf dieser ehemaligen REWE Geschäftsfläche am Kardinal-Nagl-Platz - nun unter der cleveren Nutzung "Atelier", die für Wohnen und Gewerbe gleichermaßen gilt - auf einer Gesamtwohnfläche von ca. 241 Quadratmetern vier Mikro-Lofts und zwei Eigentumswohnungen errichtet. Weitere sind in anderen Wiener Gegenden geplant: "Ein bestehendes Geschäftslokal anzukaufen und umzubauen ist effizienter als ein Grundstück zu erwerben und das bestehende Objekt abzubrechen", sagt Christian Kaltenegger, Geschäftsführer der Immacon Projektenwicklung GmbH, "Wir sehen hier noch viele neue Möglichkeiten."
##Rund 1.000 Geschäftslokale stehen leer
Tatsächlich mangelt es an leeren Erdgeschoßlokalen nicht, und die werden zunehmend zum Problem: Zwischen 500 und 1.000 Geschäftslokale müssen ihr Dasein mittlerweile als Ladenhüter fristen, einige Experten gehen laut Handelsverband sogar schon von Zahlen von mehr als 1.000 aus. Die Gründe, dass der Leerstand während der letzten 15 Jahre um 20 Prozent gestiegen ist, sind bekannt: der Online-Handel, überhöhte Mieten sowie auch ungeeignete Räumlichkeiten für einen Betrieb machen sich bemerkbar. Doch stehen zu viele Lokale zu lange leer, fehlen dem Eigentümer nicht nur die Mieteinnahmen, sondern ganze Zinshäuser und Grätzel verlieren damit an Attraktivität.
##B- und C-Lagen strategisch aufwerten
Geisterlokale wirken sich auf die Bewertung der Wohnungen aus: Wer haust schon gerne in einer Straße mit verlassenen Geschäftsruinen? Mit gutem Grund verfolgt die S-Immo AG bei Zinshäusern in B- und C-Lagen nun eine klare Strategie, die sie bereits des Längeren auch in deutschen Städten wie Leipzig oder Erfurt umsetzt. Geschäftsflächen in den Erdgeschoß-Zonen vermietet die S-Immo AG zu besonders fairen Preisen und strategisch an bestimmte Händler oder Gastronomen, die das gesamte Gebäude für die Bewohner aufwerten sollen. Der Effekt: Wer diese Strategie in ganzen Grätzeln verfolgt, hebt damit die Attraktivität der ganzen Gegend. "Bio- Läden, Bäckereien, Gastronomie, aber auch hochwertige Bekleidungsgeschäfte können in diesem Zusammenhang von großem Nutzen sein", sagt Martin Hoffmann, Leiter des Immobilienportfoliomanagements Österreich der S-Immo AG. "Je besser die Shops in der Umgebung aufeinander abgestimmt sind, desto nachhaltiger können sie funktionieren - und desto vielfältiger wird das Angebot die Bewohner", sagt Hoffmann und weist aber auch auf die Schwachpunkte hin: "Es bringt wenig, in einer kleinen Straße zehn Kaffeehäuser anzusiedeln, die miteinander konkurrieren und am Ende alle wieder schließen müssen", sagt Hoffmann, "Sinnvoll wäre in solchen Gegenden eine Gesamtstrategie, bei der sich verschiedene Branchen gegenseitig befruchten."
##Einkaufsstraßen mit einem Management
In der Seestadt Aspern hat man eine derartige strategische Ansiedelung von Geschäftslokalen bereits übergreifend organisiert und von Beginn an mitgeplant. "Für diesen Zweck haben wir als Retail-Partner der Wien 3420 Aspern Development AG gemeinsam eine Einkaufsstraßengesellschaft gegründet", sagt Alexander Eck, Head of Real Estate Development bei der SES Spar European Shopping Centers GmbH, "Dabei mieten wir die Geschäftslokale von den Bauträgern an und es wird schon im Vorfeld definiert, welche Art von Einkaufsmöglichkeit dort untergebracht wird." Der Shop-Mix in der Seestadt ist also ähnlich wie in einem Shopping-Center organisiert. "Der Vorteil für den Bauträger ist, dass er mit uns einen fixen Mieter hat", sagt Alexander Eck weiter, "Die Händler und Gastronomen profitieren wiederum von einem einheitlichen Management und Marketing." In der Praxis hat sich das Konzept sehr gut bewährt: "Wir verzeichnen seit Eröffnung von Teil 1 der Einkaufsstraße 2015 keinen einzigen Leerstand", ist Eck stolz, "Weil die Geschäfte genau auf den Bedarf der derzeit rund 7.200 Einwohner der Seestadt abgestimmt sind und einander ergänzen." Würde das auch in bestehenden Einkaufsstraßen funktionieren? "Theoretisch schon", sagt Alexander Eck, "In der Praxis ist es aber schwer, mehrere Hauseigentümer im Nachhinein von einer gemeinsamen Strategie zu überzeugen." Zudem ist nicht jedes Lokal für jede Nutzung geeignet: "Ein Umbau kommt oft zu teuer und lässt sich wegen der baulichen Gegebenheiten in bestehenden Gebäuden oft gar nicht realisieren, zum Beispiel, wenn es um aufwendige Lüftungsanlagen geht."
##"Wiener Grätzlhotel": Hybrid zwischen Apartment und Hotel
Auch Theresia Kohlmayr, Geschäftsführerin des "Wiener Grätzlhotels", beschäftigt sich seit vielen Jahren und bereits während ihres Architekturstudiums intensiv mit dem Thema Leerstand in Wien: Mit der Urbanauts Hospitality GmbH ist sie heute Pächterin des ersten dezentral geführten Hotels in Wien. Die Apartments befinden sich in ehemaligen, nicht mehr genützten Handwerksbetrieben und Geschäftslokalen. Sie sind in unterschiedlichen Wohnhäusern am Meidlinger Markt, am Karmelitermarkt und am Belvedere verteilt. "Die Eigentümer investieren bei uns in eine löffelfertige Ausstattung der Zimmer, dafür binden wir uns als Pächter für 15 Jahre", erklärt Kohlmayr das Konzept. Das Grätzlhotel ist ein Mix aus Apartments und Hotel: "Wir beherbergen pro Liegenschaft zwischen einem und sieben Zimmern, womit sich rund um jedes Grätzel etwa zehn Einheiten ergeben." Die Organisation und auch die virtuelle "Rezeption" ist in einem Büro in Wien-Wieden untergebracht, und wer als Reisender eincheckt, erhält einen Code, der Zutritt zum gebuchten Zimmer verschafft. "Unsere Gäste können uns rund um die Uhr anrufen und wir stellen nach Wunsch individuelle Services bereit", sagt Kohlmayr.
Positiv habe sich so zum Beispiel die Zusammenarbeit vor allem mit Gastronomiebetrieben im Grätzel entwickelt. Jeder profitiert: "Am Meidlinger Markt zum Beispiel bietet ein umtriebiger Marktbetreiber unseren Gästen sogar an, das Frühstück ins Zimmer zu bringen. Wir haben in jedem Grätzel unsere Fellows, bei denen unsere Gäste essen und entspannen können", sagt Kohlmayr. Als ehemalige Geschäftslokale sind auch die Hotelzimmer separat von der Straße aus begehbar. "Die Widmung ist gewerblich und sofern die Sicherheitsvorschriften für Brandschutz und Fluchtwege eingehalten sind, ist es durchaus möglich, Geschäftsflächen auch für gewerbliches Wohnen zu nützen." Das Feedback der Gäste sei durch die Bank positiv: "Es wäre wünschenswert, wenn sich leerstehende Erdgeschoßflächen auch schon bald als Wohnraum etwa für ältere Menschen nutzen ließen", regt Kohlmayr an. Denn gerade seniorengerechte Wohnungen sind nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft mehr und mehr gefragt.
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AutorSusanne Prosser
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