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SONNIGE AUSSICHTEN AUF DER MIPIM
Die Immobilienbranche bleibt zumindest 2019 und 2020 kerngesund und mit hoher Tourenzahl unterwegs. Niedrige Zinsen befeuern das Geschäft, Umwälzungen durch Marktveränderungen und Proptech zeichnen sich klar ab.
Sehr viel turbulenter hätte die Anreise zur MIPIM an diesem Montagabend mit Sicherheit nicht sein können. Der Sturm wurde auf den letzten Kilometern vor Nizza immer stärker, die AUA-Maschine zu einem Spielball der Elemente. Wie immer an diesem Vorabend der MIPIM waren fast ausschließlich Immobilienleute mit Ziel Cannes an Bord. Und - auch wenn wir hier nicht auf alle Details eingehen wollen - die teilweise auf allen Vieren aufgesuchte Bordtoilette war für einige der letzte Zufluchtsort. Und jedenfalls soll der eine oder andere schon ein wenig mit seinem Leben abgeschlossen haben. Schließlich entschied der Pilot, die Landeversuche aufzugeben und nach Mailand auszuweichen, was letztlich die Anreise um gut sechs Stunden verzögerte. Dies und wie es am Folgetag weiterging, beschreibt das Immobiliengeschäft in der heutigen Zeit vielleicht am besten: Nach ärgsten, scheinbar (oder tatsächlich) sogar existenzgefährdenden Turbulenzen kommt fast übergangslos konstantes Schönwetter. Die weltweit größte und spektakulärste Immobilienmesse ging in Cannes in diesem Jahr zum 30. Mal über die Bühne, mehr als 26.000 Branchenexperten aus rund 100 Ländern nahmen teil. Nicht nur der Himmel über der Cote d'Azur war sonnig, auch die Stimmung in den Hallen schien von keinerlei Wolken getrübt zu sein.
Und alles war so wie früher zu den besten MIPIM-Zeiten vor eineinhalb Jahrzehnten: Die Rekordzahl an Teilnehmern, die Ausstellungsfläche, die in diesem Jahr außerhalb des Messegeländes durch Zelte ergänzt wurde. Diese nahmen heuer erstmals nahezu alle Croisette-Strandrestaurants gleich mit in Beschlag, wo große, teils sehr elegante Zelte aufgebaut worden waren, welche die tatsächliche Ausstellungsfläche um zehntausende Quadratmeter ergänzten. Auch die Yachten waren zahlreich wie lange nicht, alle Plätze im Hafen waren belegt. Und immer mehr Messe-Aussteller - wie beispielsweise die Immofinanz - hatten zusätzlich zu ihrer Präsenz auf der MIPIM selbst Eventcenter oder Wohnungen gemietet, wo man ungestört recht konkrete Geschäftsgespräche führen konnte.
##Krach wie vor zehn Jahren?
Alles so, wie in den Jahren vor dem großen Krach 2007/2008? Definitiv nicht. Denn eine Blase wie damals, Finanzierungskonstrukte, wo mit zum Teil 110 oder 120 % an Fremdkapital des Projektendwertes kalkuliert worden war, die gibt es nicht und sind auch in keinster Weise absehbar. Im Gegenteil: Bei der Finanzierung ist man - was den Fremdkapitalanteil betrifft - durchaus eher konservativ und vorsichtig. Und auch sonst bleiben die meisten Branchenteilnehmer hier eher auf dem Boden der Tatsachen als "damals".
Dass die MIPIM nur gut für Kontaktaufbau oder Imagepflege geeignet sei, stimmt zumindest in diesem Jahr nicht. S + B Plan & Bau beispielsweise konnte direkt vor Ort auf der MIPIM einen Mietvertrag abschließen. Immerhin waren ja alle, die man dazu braucht, so gut wie immer in Griffweite: Anwälte, Steuerberater, Banken...
Dennoch bleiben Kontaktaufbau und Meinungsaustausch hier in Cannes dominierend. Stimmungsmacher in der Branche ist und bleibt das Zinsniveau. Nahezu einhellig gehen die MIPIM-Teilnehmer von einer weiterhin stabilen Aufwärtsentwicklung der Immobilienmärkte aus. Die Immobilienwelt dreht sich weiter und wird durch billiges Geld befeuert. "Tauchen die ersten sinkenden Konjunkturprognosen auf, feuert die EZB sofort Pressemeldungen hinaus, dass man die Wirtschaft nun mit günstigem Geld antreiben werde", sagt Matthias Ortner, Immobilienexperte und Partner bei Advicum Consulting. Und das Geld bleibt scheinbar sogar noch um einiges länger so günstig.
##Zinsen so niedrig wie nie
Aktuell gibt es schon Hypothekarkredite mit einer Laufzeit von zehn Jahren mit einer fixen Verzinsung von weniger als einem Prozent. All das deutet darauf hin, dass niemand mit einem Anstieg der Zinsen in absehbarer Zeit rechnet. Egal, mit wem man hier auf der MIPIM gesprochen hat: Die meisten sind zwar der Meinung, dass die Konjunktur auf Dauer nicht so weitergehen kann, ein baldiges Ende erwartet jedoch auch keiner (mehr). Klar wurde aber auch, dass es deutliche Veränderungen bei den Assetklassen geben wird. Hotels zum Beispiel. Einerseits ist in vielen europäischen Metropolen die Hoteldichte mittlerweile so hoch, dass auch die wachsende Tourismusindustrie und die Kongressreisenden die Häuser nicht immer füllen.
##Entwarnung
Das würde ein wenig zur Vorsicht mahnen lassen. Andererseits gibt UBM-Vorstand Martin Löcker - derzeit der größte Hotelentwickler Europas - hier ganz klar Entwarnung: "Es gibt natürlich einige Städte, wo aktuell Vorsicht geboten ist, weil hier der Markt bereits sehr gut versorgt ist. Aber generell ist der Bedarf weiter wachsend. Einerseits sagen alle Prognosen, dass der Tourismus in Europa um rund 20 Prozent weiter wachsen wird. Andererseits geht die Nachfrage immer mehr weg von den kleineren, familiengeführten und vielfach überalterten Hotels hin zu modernen Ketten. Und daher trifft das Zimmerwachstum tatsächlich auch die Nachfrage."
##Handel unter Beobachtung
Aber auch der stationäre Handel steht zumindest unter Beobachtung. Zum einen schrumpft der stationäre Handel, und die großen Retailflächen werden auf Dauer einer anderen Nutzung zugeführt werden müssen. Andererseits aber präsentieren sich die gut aufgestellten, professionellen Retailvermieter durchaus zukunftssicher, und die aktuellen Zahlen geben ihnen recht. Die Immofinanz - einer der großen Retailvermieter Europas - veröffentlichte just zur MIPIM neue Rekordzahlen bei den Frequenzerhebungen in den eigenen Einkaufszentren und Fachmarktzentren. Daher bleibt man auf vorsichtigem Wachstumskurs. Vor allem bei den Stop Shop-Fachmarktzentren wird die Immofinanz noch weiter an Standorten zulegen.
Das Messeergebnis ist jedenfalls eindeutig: Die führenden Immobilienunternehmen und -experten sind weiter ausgesprochen optimistisch, die Nachfrage nach Immobilien aller wichtigen Kategorien ist sowohl seitens der Mieter als auch seitens der Investoren ausgezeichnet und auch die leichte Eintrübung der Konjunkturaussichten wird die Entwicklung des Gesamtmarkts nicht beeinträchtigen.
##Positive Stimmung
"Die Kennzahlen sind gut, die Stimmung ist positiv und die Marktteilnehmer agieren zwar offensiv, aber nicht euphorisch, sondern sehr rational", fasst Michael Ehlmaier, Geschäftsführer der EHL-Gruppe, die Erkenntnisse zusammen. "Das ist eine sehr gesunde Mischung, und man kann davon ausgehen, dass sich die großen Immobilienmärkte in den kommenden Jahren stabil aufwärts entwickeln werden." Die österreichischen Märkte entwickeln sich dabei mindestens ebenso gut wie der europäische Durchschnitt: "Österreich ist im internationalen Vergleich weiterhin überdurchschnittlich attraktiv", so Ehlmaier. "Investoren schätzen das vergleichsweise geringe Risiko und die niedrigen Leerstandsraten, Mieter das stabile Mietenniveau und das konstante soziale und wirtschaftliche Umfeld. Daher nehmen wir auch heuer wieder am Österreich-Stand ein erfreulich großes Interesse internationaler Player wahr."
Wie schon seit mehreren Jahren übersteigt die Nachfrage nach Immobilieninvestitionen das Angebot deutlich. Während bisher Immobilien vor allem als attraktivere Alternative zu festverzinslichen Veranlagungen genutzt wurden, wird aufgrund der sich verlangsamenden Konjunktur auch wieder mehr Kapital aus den Aktienmärkten in Immobilienveranlagungen fließen.
"Verglichen mit festverzinslichen Veranlagungen bieten Immobilien bessere Renditen und verglichen mit Aktien die größere Sicherheit", so EHL-Investmentchef Franz Pöltl. Die frühere Standardfinanzierung aus Eigenkapital und Hypothekarkredit wird immer mehr zum Auslaufmodell. "Große Investments werden mittlerweile weit überwiegend mit einem komplexen Mix aus Eigenkapital, Mezzaninkapital, Junior Loans (unbesicherte Kredite) und Senior Loans (besicherte Kredite) finanziert. Es waren sicher noch nie so viele Anbieter innovativer Finanzierungsformen bei der MIPIM wie heuer", so Pöltl. Österreich ist bei Investoren stark gefragt, und zwar dezidiert nicht nur seitens deutscher Anleger, für die Österreich faktisch den erweiterten Heimmarkt darstellt, sondern von Großinvestoren aus dem gesamten EU-Raum, Asien und dem Nahen Osten. Besonders auffällig ist dabei, dass auch für ausländische Investoren Wohnen mittlerweile die am stärksten nachgefragte Assetklasse ist. Sharing Economy erobert die Immobilienwelt, Sharingmodelle sind auch in der Immobilienbranche zu einem großen Thema geworden. Die Anbieter diverser Formen gemeinsam genutzter Büroflächen (Shared Space, Co-Working etc.) gehören mittlerweile zu den größten Nachfragern im Büroneubau. Auch im Bereich Einzelhandelsflächen entwickeln sich neue Nutzungsformen, bei denen unter dem Sammelbegriff "Shared Retail" Mietflächen von mehreren Einzelhändlern gemeinsam oder abwechselnd genutzt werden.
##Assetklassen neu definiert
Die traditionelle Einteilung des Marktes in wenige große Assetklassen (Büro, Wohnen, Einzelhandel, Hotel, Logistik) wird zunehmend durch eine Vielzahl von Misch- und Unterformen ergänzt. Nach einigen Jahren, wo es in der Assetklasse Büro etwas stiller gewesen war - und zwar nicht nur in Österreich, sondern im Grunde in ganz Europa -, bläst seit gut zwei Jahren hier wieder ein Frühlingslüftchen. Schon 2017 war ein sehr erfolgreiches Jahr für den Büromarkt, der das mit Abstand beste Ergebnis der letzten zehn Jahre erzielte.
Die Märkte verzeichneten in den meisten Städten Europas ein Wachstum, insbesondere in den drei größten Ländern, in denen Großabschlüsse den Markt zusätzlich beflügelten. Dank der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland war das Marktgeschehen vor allem in den vier wichtigsten Städten des Landes rege und verzeichnete gegenüber dem Vorjahr ein Wachstum um 23 % auf über 3,3 Mio. m². Der Flächenumsatz in Central London verzeichnete im Vorjahresvergleich ein Plus um 11 %, wobei Großdeals 55 % über dem Durchschnittswert liegen. Der Flächenumsatz in Central Paris lag deutlich über dem Vorjahreswert (+9 %). Die meisten europäischen Märkte folgten diesem positiven Trend, besonders Dublin (+45 %), Warschau (+30 %), Madrid (+29 %), Mailand (+20 %) und Amsterdam (+16 %).
Sinkende Leerstände In Europa ist die durchschnittliche Leerstandsrate 2017 erneut zurückgegangen und erreichte in mehreren Märkten neue Tiefstände. In den vier größten deutschen Städten sank das Leerstandsvolumen um 16 % gegenüber dem Vorjahreswert.
Auch in Central Paris geht der Leerstand zurück; aktuell beträgt die Leerstandsrate 6,5 % (-30 BP im Jahresvergleich). Den bedeutendsten Rückgang verzeichnete Bukarest (-410 BP), gefolgt von Amsterdam (-230 BP), Warschau (-200 BP), Lissabon und Madrid (-160 BP). Im Gegensatz dazu stieg die Leerstandsrate in Central London auf 6,2 % (+50 BP gegenüber dem Vorjahr). Das Transaktionsvolumen für Gewerbeimmobilien in Europa erreichte im Jahr 2017 253 Mrd. Euro und lag damit um 10 % über dem Ergebnis von 2016.
"Der Markt profitierte 2017 von mehreren Faktoren, etwa der Konjunkturverbesserung, niedrigeren Leerstandsraten oder der Kapitalverfügbarkeit. Der Aufschwung der europäischen Wirtschaft und die Entwicklung der Büromärkte steigerten die Attraktivität von Immobilien als Anlage", sagt Larry Young, Head of International Investment Group bei BNP Paribas Real Estate. Mit 43 % sind Büroobjekte weiterhin die Lieblinge der Investoren. 2017 wurde geprägt vom Verkauf von Trophy-Objekten. Hierzu zählen unter anderem Coeur Défense in Paris, Walkie-talkie und Cheesegrater in London sowie das Sony Center in Berlin.
Ende 2017 lag die Spitzenrendite in den 40 beobachteten Märkten bei durchschnittlich 4,66 %, was einem Rückgang um 30 BP gegenüber dem Vorjahr entspricht. In Berlin fiel die Spitzenrendite für Büroobjekte unter die Marke von 3,0 % auf 2,9 % - der niedrigste Wert in Europa. Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind erwartete weitere Mietpreissteigerungen.
Auf den weiteren Plätzen folgen München (3,0 %), Paris (3,05 %) und Madrid (3,25 %). Als Folge der Brexit-Abstimmung stiegen die Renditen für Büros in London leicht an, haben sich jedoch mit zunehmender Marktaktivität stabilisiert. Mit Abstand am meisten diskutierte Themen waren in diesem Jahr die weitere Entwicklung der Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Tatsächlich nehmen die Proptechs hier auf der MIPIM nicht nur einen immer größeren Anteil der Ausstellungsfläche ein. Es ist vielmehr auch so, dass zwischenzeitig die allermeisten der großen Player im Proptech- Bereich aktiv sind - sei es durch Zukäufe oder eigene Entwicklung. Dennoch steht hier die tatsächliche Praxisreife erst am Anfang.
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AutorGerhard Rodler aus Cannes
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