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Urban Mining – Phönix aus der Asche?
Der Appetit unserer Gesellschaft auf Rohstoffe ist groß. So verbraucht etwa in Europa jeder Einwohner im Schnitt bis zu 40 kg Rohstoffe, wie Schotter, Sand, Erdöl, Kohle, Holz oder Metall. Und das pro Tag. Doch die Quellen sind erschöpflich. Muss und kann sich eine Stadt in Zukunft selber mit Rohstoffen speisen?
Urban Mining – also das Recycling von Rohstoffen im städtischen Raum – scheint eine Lösung hinsichtlich deren Verknappung zu sein. Wiederverwertung ist in unserer Gesellschaft schon lange ein geläufiges System, da mutet es nur logisch an, wenn auch in Gebäuden verbaute Materialien nach Ablauf der Nutzung einer Einheit wieder rückgewonnen werden. Gut, bei Wiederverwertung denkt man nicht automatisch an Häuser, Bauwerke und Baustellen. Vor dem Hintergrund, dass von den 50 Millionen Tonnen Abfall, die jährlich in Österreich anfallen, mehr als die Hälfte von Baustellenabfällen, Baurestmassen oder Bodenaushub herrührt, wird schnell klar, dass hier ein Schwerpunkt zu setzen ist.
##Der Marktpreis bestimmt
Bei welchen Rohstoffen sich die Rückgewinnung im wirtschaftlichen Sinne lohnt, kann nicht generell gesagt werden. Es hängt nicht nur von den Rohstoffpreisen, sondern auch vom Aufwand ab. So setzt die Gesellschaft für Ökologie und Abfallwirtschaft bei Urban Mining auf die Kräfte des Marktes. „Nur wenn Sekundärrohstoffe auch preislich gegenüber Primärrohstoffen konkurrenzfähig sind, kann die an sich positive Entwicklung langfristig Sinn haben“, erklärt Roman Rusy, Vereinssekretär der Gesellschaft. „Eine gezielte Förderung von Sekundärrohstoffen, wie bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder durch Besteuerung von Primärrohstoffen ist Blödsinn. Man kann auch nicht von den Baufirmen verlangen, dass sie bei gleichzeitiger Verwendung teurerer Baustoffe billigere Wohnungen bauen.“
Aufbereitet wird beispielsweise in der stationären Entmetallisierungsanlage bei Mistelbach. Dort werden die Eisen- und Nichteisenmetalle mithilfe von Sieb-, Magnet- und Wirbelstromabscheidern aus dem Abfall gewonnen. Natürliche Lagerstätten werden bei der Güte sogar übertroffen. „Solange die Primärrohstoffe billig waren, wurde der Abfall einfach deponiert“, beschreibt Hans Zöchling, Geschäftsführer der Zöchling Abfallverwertung GmbH, die Marktsituation. „Durch den Anstieg der Rohstoffpreise über das Vorkrisenniveau hat die Rückgewinnung von Metallen aber wieder wirtschaftlich Sinn bekommen. Sollten die Rohstoffpreise weiter anziehen, könnte es sich schon in einigen Jahren rechnen, alte Deponien oder Halden zu entmetallisieren.“
##Und die „Inhaltstoffe“?
Soweit der Grundgedanke in der Sphäre der Bauwirtschaft. Nun wird einerseits an den Möglichkeiten zur Rückgewinnung weiter geforscht und entwickelt, anderseits legen die Behörden bereits Recyclingquoten auf – es ist also durchaus nicht mehr nur der Tatbestand der Wirtschaftlichkeit zu erfüllen. Damit aber der Gedanke des „Schürfens“ im urbanen Raum nicht nur eine schöne Vision bleibt, hat sich das Christian Doppler Labor für Anthropogene Ressourcen an der Technischen Universität Wien unter Leitung von Ass. Prof. Johann Fellner zum Ziel gesetzt, Daten über die bei einem Abbruch tatsächlich zu erwartenden Massen zu sammeln. Die Rede ist von „anthropogenen Ressourcen“ – eben jene, die in den Verbauten stecken. Ziel ist es, anhand der erhobenen Daten Prognosen über die zukünftige Situation zu erhalten, um dann geeignet strategisch reagieren zu können. Einerseits dient das der langfristigen Planung der benötigten Anlagen zur Aufbereitung der Rohstoffe, andererseits soll so Aufschluss darüber gegeben werden, mit welchen Materialien zu rechnen ist.
Das Projekt, gefördert von der Christian Doppler Forschungsgesellschaft und unterstützt von Unternehmen wie den Wiener Linien bzw. der Baudirektion der Stadt Wien, hat am 1.10.2012 gestartet. Im Zuge des Projektes werden Abbruchbaustellen untersucht, die dabei gewonnenen Zahlen mit anderen Werten verglichen und abschließend auf die ganze Stadt Wien hochgerechnet. Das Projekt soll bis Mitte 2015 laufen. „Der Zeitpunkt der Präsentation der Ergebnisse ist auch abhängig von den Möglichkeiten, die sich uns noch bieten. Derzeit sind es hauptsächlich öffentliche Gebäude, die wir begleiten dürfen. Nur kommen aus dem öffentlichen Bereich praktisch keine Gründerzeitbauten – gerade die wären aber interessant, da ein großer Teil der Abbruchmassen aus solchen Bauwerken stammt“, so Jakob Lederer, Mitarbeiter des Projektes der Forschungsgesellschaft.
Die Einschätzung von Lederer verdeutlichen auch die Zahlen der Prajo & Co GmbH. Das Unternehmen zählt mit fast 5.000 Abbrüchen von Zinshäusern zu den großen Playern in der Branche. Im Zuge des Verarbeitungsprozesses gewinnt Prajo jährlich rund 6.000 Tonnen Eisen, um ein Beispiel zu nennen. „Mittlerweile rechnet es sich bei vielen Materialien, die noch vor wenigen Jahren ungenützt auf Deponien gelandet sind, zu recyclieren und sie wieder in den Stoffkreislauf zu bringen“, erklärt Prajo-Geschäftsführer Zeljko Vocinkic sein Prinzip des Urban Mining. Im Detail ist die Frage von den Rohstoffpreisen und dem Aufwand für die Rückgewinnung abhängig, Baustoffrecycling aber lohnt sich in den meisten Fällen. Um den Recyclinggedanken zu unterstützen, ist der Gesetzgeber nun vor einigen Jahren mit einer pönalisierenden Lenkungsmaßnahme eingesprungen. Durch Einführung einer Abgabe auf das Deponieren, Exportieren oder Verbrennen von Abfall konnte die Wiedergewinnung von Sekundärbaustoffen aus Abbruchmaterialien konkurrenzfähig zu Primärrohstoffen gemacht werden. Abgesehen von der Wiedergewinnungsmöglichkeit und der Einsetzbarkeit der Massen gibt es aber auch noch andere rechtliche Erfordernisse, die sich durch die Recyclingziele der Verwaltung hinsichtlich der Baurestmassen ergeben. Die EU hatte im letzten Herbst in der Neuausrichtung ihrer Rohstoffstrategie Recycling als einen von drei Grundpfeilern der Versorgungssicherheit genannt und das Thema damit aufgewertet. Österreich erreicht die sich daraus ergebenden Ziele insbesondere im Tiefbau, im Hochbau sieht die Sache leider noch anders aus.
Die Wiedergewinnung von Kupfer und Eisen funktioniert grundsätzlich gut, auch Beton kann noch verhältnismäßig gut recycelt werden – aber eine der am meisten anfallenden Massen im Hochbau ist nicht so leicht wiederzuverwerten: Ziegel. Generell wird bei Abbruchbaustellen zu viel Ziegelmasse „gewonnen“. Die abgebrochenen Ziegel werden in Aufbereitungsanlagen zu Ziegelmehl verarbeitet, dies kann dosiert in der Zementindustrie durch Beimischung zur Verwendung kommen. Darüber hinaus gibt es nur eher unbedeutende Nebenschauplätze, wo Ziegelsplit eingesetzt werden kann.
##Die Zukunft des urbanen Schürfens
Die Gebäude, die aktuell zum Abbruch gelangen, sind nun wenig überraschend meist älteren Semesters. Das Projekt der Technischen Universität Wien arbeitet daran, dem gegenübergestellt eine Datensammlung als Grundlage für langfristige Planung in der Wiederverwertung von Baumassen zu schaffen. Die Abbruchgesellschaften und die Betreiber von Wiederaufbereitungsanlagen können sich auf dieser Basis auf die bevorstehenden Erfordernisse vorbereiten und auch die Behörden wissen, welche Anforderungen an den Recyclingkreislauf gestellt werden können. Soviel ist schon ersichtlich: Heute junge Gebäude werden zukünftig das Geschäft mit den Baurestmassen vor neue Herausforderungen stellen. Da in moderner Bauweise hauptsächlich Massivbeton und weniger Ziegelwerk zum Einsatz kommt, muss mit einem größeren Aufwand für die Wiedernutzbarmachung gerechnet werden. Das Forschungsinstitut an der TU hat daher eines dieser verhältnismäßig jungen Bauwerke – ein Gebäude im Kaiserin-Elisabeth-Spital-Komplex – beim Abbruch begleitet. Die Konstruktion wurde in hohem Maß materialschlüssig errichtet, die 14 Zentimeter dicke Dämmschicht musste mühsam mit dem Bagger abgekratzt und getrennt vom Beton behandelt werden. Daher ist der Aufwand, hier eine Wiederverwertung zu ermöglichen, sehr groß. Abbrüche von Gebäuden dieser Bauqualität stehen einfach noch nicht auf der Tagesordnung. Hier muss das Know-how noch deutlich vertieft werden. Fest steht: Je komplexer ein Produkt, desto schwieriger ist es zu recyceln. An Herausforderungen für die Forschung mangelt es nicht. Auch nicht an unterschiedlichen Interessenslagen und Zugängen zu diesem Thema. Der kleinste gemeinsame Nenner ist hier aber durchaus ein großer: sekundäre Rohstoffquellen nutzbar machen. Und solange es Städte gibt, wird es dank Urban Mining auch Rohstoffe geben.“ «
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AutorBarbara Bartosek
Tags
Nachhaltigkeit
Innovation
Baustoff
Recycling
Forschung
Sand
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Roman Rusy
Deponie
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Abfallwirtschaft
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