Zwei Augen für vier Beine

Wenn Sie diesen Text lesen, ist der Moment, in dem Sie fürs Gutes-Tun von Kollegen und Mitarbeitern beschulterklopft werden, schon vorbei. Aber was spricht eigentlich gegens Karmapunktesammeln zwischendurch? Noch dazu bei etwas, das Sie vielleicht ohnehin tun? Denn: Wenn Sie Anfang Oktober für die fünf Charity-Kilometer rund um den Ring gelobt wurden, dann sind Sie Läuferin. Oder Läufer. Und könnten ja auch … Aber der Reihe nach. Denn neulich mailte mich Hans Ewald Grill an. Der Name sagte mir nichts. Aber Grill fragte, ob ich mit ihm Laufen gehen wolle. (Das ist nicht weiter verwunderlich: Ich schreibe auf derstandard.at einen Laufblog – da renne ich mit ganz unterschiedlichen Leuten herum.) Mit ihm zu laufen, erklärte der Unbekannte, sei aber ein bisserl anders: Ob ich wisse, was ein „Begleitläufer“ sei? Begleitläufer, lernte ich, sind Sehende, die mit Blinden (oder schwer Sehbehinderten) laufen: zwei Augen für vier Beine. Eine gelbe Schnur zwischen den Partnern. Ein Stück Verantwortung – aber keine unlösbare Aufgabe. Beim „Vienna Nightrun“ laufen Profis und Prominente mit Blinden. „Aber wir brauchen Begleitläufer nicht nur an diesem einen Tag.“ Wir trafen uns im Prater. Hauptallee. Hätte Grill nicht demonstrativ einen Blindenstock in der Hand gehalten, hätte ich ihn nicht erkannt, sondern ihn für einen gut trainierten End-Fuffziger gehalten. Kein Wunder: Der 62-Jährige ist im sogenannten „Versehrtensport“ eine große Nummer. Nicht nur im Laufen. Auch im Diskuswurf, im Weitsprung, beim Langlaufen oder beim Skifahren war er vielfacher Staatsmeister. Seinen schnellsten Marathon lief Grill bei den Paralympics unter drei Stunden. Für eine Medaille reichte das nicht. (Ambitionierte sehende Hobbyläufer träumen oft ihr Lebtag lang von Zeiten unter dreieinhalb Stunden. Oder würden auch gern den Mont Blanc oder den Großglockner erklimmen.) Mit dem Ex-Leistungssportler zu laufen war keine Hexerei: das Band um die Hand – und ab. Für zwei zu sehen bedeutet aber, anders zu denken: „Wenn du sagst: ‚Achtung, da vorne ist was‘, kann ich damit nix anfangen. ,In 20 Metern kommt eine Gehsteigkante, drei Schritte weiter links ein Hydrant‘ ist konkret. Da weiß ich, dass ich mich auf dich verlassen kann – auch wenn du länger nix sagst“, sagte der Blinde. Grill ist schnell. Da ständig zu reden, wäre heftig gewesen. Aber nicht jeder Blinde läuft wie der Ex-Staatsmeister: „Laufen können Blinde gut und sicher ausüben, wenn sie jemand an der Hand nimmt. Deswegen suchen wir Begleitläufer: Langsame, schnelle, alte, junge, Männer oder Frauen“, sagte Grill und kam zum Punkt: Es gäbe da einen Lauftreff im Prater. „Nightrun ist einmal im Jahr – wir laufen jeden Dienstagabend.“ Nightrun-Teilnehmer (er ist der größte Charitylauf Österreichs) wissen: In den Tagen danach wird man auch von Nichtläufern gelobt. Aber: Auch das Begleitlaufen unterm Jahr wird bemerkt: So viele „Thumbs Ups“, Victory-Zeichen oder anerkennendes Kopfnicken, freundliches Lächeln oder „Wow, Super!“-Zurufe wie beim Laufen mit dem gelben Band habe ich noch nie bekommen. Und auch wenn das nicht der einzige Grund dafür sein sollte, anderen zu helfen: Das tut verdammt gut. Probieren Sie es einfach selbst einmal aus. « www.vsc-wien.at www.lichtfuerdiewelt.at